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Gesundheit & Pflege

Pandemieverlauf - 5 Faktoren

FOCUS Online - Beitrag vom 14.04.2020

Weltweit haben sich rund 1,9 Millionen Menschen (Stand Mitte April/ Ende Oktober 2020: ca. 45 Mio /November 2021: ca. 250 Mio !)* mit dem neuen Coronavirus (Sars-CoV-2) infiziert. Viele überstehen die Infektion ohne Symptome, andere erkranken mehr oder weniger schwer, wobei ein Teil der Schwerkranken intensivmedizinisch behandelt und gegebenenfalls beatmet werden muss. In dieser Gruppe sind auch viele Todesopfer zu beklagen.
Dabei erkranken Männer häufiger als Frauen und ältere Menschen sowie solche mit Vorerkrankungen gelten als besonders gefährdet. Doch nicht alle Schwerkranken weisen diese Risikofaktoren auf und umgekehrt erkranken viele Patienten aus den gefährdeten Gruppen nur leicht. Einige davon bleiben sogar symptomfrei.
Inzwischen kristallisieren sich die Ursachen für diese Unterschiede heraus. Auf dem Internetportal „Bloomberg" erklären der Mikrobiologe Arturo Casadevall von der Bloomberg School of Public Health an der Johns Hopkins University und die Infektiologin Liise-anne Pirofski vom Albert Einstein College of Medicine in New York, wieso sich Covid-19 so unterschiedlich manifestiert, aber auch, warum keine individuelle Prognose für Betroffene möglich ist.

"Infektion" ist noch nicht gleichbedeutend mit Krankheit
Zunächst müsse man die Terminologie des Leidens klarstellen: „Infektion" bedeute, dass das Coronavirus in den Körper eindrang, nachdem ihm ein Mensch ausgesetzt war. Das sei aber noch nicht gleichbedeutend mit Krankheit. Diese sei ein „klinischer Zustand, der mit Husten, Fieber und anderen Symptomen einhergeht, die von mild bis schwer reichen“. Die Symptome wiederum seien eine Folge von Schäden in Geweben und dem Immunsystem. Sind diese so schwerwiegend, dass der Körper das Blut nicht mehr mit Sauerstoff anreichern oder andere lebenswichtige Funktionen nicht aufrecht erhalten kann, tritt der Tod ein.
Bei früheren Pandemien hingen Tod oder Überleben von der Fürsorge ab, oder einfach vom Glück, befinden Casadevall und Pirofski. Dank der modernen Wissenschaft verstünden wir jetzt aber besser, wieso Infektionen so unterschiedlich verlaufen. Demnach bestimmen fünf Faktoren die Unterschiede bei Individuen in einer bestimmten Risikokategorie, etwa in einer Gruppe in höherem Alter.

1. Die Virendosis
Zunächst kommt es darauf an, welche „Virendosis" ein Mensch abbekommt, also wie viele infektiöse Erreger er aufnimmt. Sind es nur wenige, wird das Immunsystem leicht mit ihnen fertig. Dann kann eine Infektion ohne oder nur mit milden Symptomen verlaufen. Anders bei einer großen Zahl aufgenommener Viren: Diese vermehren sich lawinenartig. Das Immunsystem wird überwältigt, mit einer schweren Erkrankung als Folge.

2. Die Genetik
Zweiter Punkt ist die Genetik, also die vom Erbgut bestimmte Konfiguration von Zellen sowie die Produktion von Proteinen im Körper. In der Regel kapern Viren ihre Wirtszellen, indem sie an Proteine (sogenannte Rezeptoren) andocken, die auf den Zelloberflächen sitzen. Anzahl und Art dieser Eiweißstoffe variieren jedoch von Person zu Person.
Fehlen die für ein Virus erforderlichen Rezeptoren, ist der Betroffene gegen die Infektion resistent. Ein Beispiel sind die HI-Viren, die Aids auslösen. Bei manchen Menschen tragen die Zellen keine für deren Andocken erforderlichen Proteine, sodass sie unempfindlich für den Erreger sind.

3. Der Infektionspfad
Als dritte Variable gilt der Weg, über den ein Virus in den Körper eindringt. Denn eine Infektion durch das Einatmen virushaltiger Tröpfchen kann eine andere Immunantwort auslösen als eine, die durch Anfassen einer kontaminierten Oberfläche mit nachfolgender Berührung des Gesichts erfolgt. „Nasenschleimhaut und Lunge reagieren mit jeweils anderen Abwehrmaßnahmen, sodass der Infektionspfad den Verlauf signifikant beeinflussen kann", so Casadevall und Pirofski.

4. Die Virulenz von SARS-CoV-2
Viertens kommt es auf die Virulenz des Erregers an, also seine Ansteckungskraft und die Stärke, mit der er Gewebe oder das Immunsystem schädigen kann. Diese kann selbst innerhalb eines einzigen Virenstamms sehr unterschiedlich sein. Aus diesem Grund verläuft auch die Grippesaison in jedem Jahr anders, mit mehr oder weniger vielen schwerwiegenden Fällen.
Wie virulent Erreger wie SARS-CoV-2 werden und wie sie mit ihren Wirtszellen interagieren, hängt von ihren genetisch bedingten Eigenschaften ab, etwa wie gut ihre Bindungsstellen zu den Rezeptoren passen. Wenn Coronaviren von Mensch zu Mensch springen, kann sich ihr Erbgut verändern. Diese Mutationen können ihre Fähigkeit, im Organismus Schaden zu stiften, verstärken oder abschwächen. Bei Betroffenen, die einen virulenteren Erreger erwischen, ist ein schwerer Krankheitsverlauf zu erwarten.

5. Der Immunstatus
Fünfte bestimmende Größe ist der Immunstatus eines Menschen, und der hängt weitgehend von früher durchgemachten Infektionen ab. Das Immunsystem erinnert sich gleichsam an die damaligen Mikroben. Treten ähnliche Erreger wieder in Erscheinung, fällt die Abwehrreaktion oft stärker aus. „Hat das Immunsystem keine Erinnerung an einen infektiösen Erreger, kann es unfähig sein, rasch zu reagieren," schreiben Casadevall und Pirofski. „Dies hilft dem Eindringling, der Entdeckung zu entgehen und dadurch länger Schaden zu stiften."
Andererseits würden Infektionen mit einem Virustyp den Körper empfänglicher für eine Ansteckung mit einem anderen Typ des gleichen Virus machen, so die Autoren weiter. Dies sei etwa beim Denguefieber der Fall. Zudem könne eine Infektion mit einem Virus die Anfälligkeit für eine weitere Ansteckung mit einem nicht verwandten Erreger beeinflussen. So vermag eine Grippe, die einer Covid-19-Erkrankung vorausging, deren Verlauf in nicht vorhersagbarer Weise zu verändern. Heute dagegen könne eine breit aufgestellte Wissenschaft das Seuchengeschehen schnell analysieren, die besten Therapien festlegen und Maßnahmen vorschlagen, um Infektionsketten zu unterbrechen. „Die Wissenschaft ist der Rettungsring der Menschheit“, konstatieren Casadevall und Pirofski. „Ärzte, Forscher, Epidemiologen und andere arbeiten hart daran, die individuelle Empfindlichkeit für das Coronavirus zu ergründen.“ Damit lehre uns die Covid-19-Pandemie so viel, dass wir für den nächsten Seuchenausbruch viel besser gerüstet sind.

„Zusammen genommen erzeugen diese Variablen ein komplexes Bild“, schlussfolgern die beiden Forscher. „Die Virusmenge, unsere Gene, der Infektionspfad, die Vielfalt der Viren und unsere Immungeschichte spielen zusammen, um Krankheitsverläufe zu erzeugen, die von symptomfrei bis hin zum Tod reichen."

Coronavirus: Die Unsicherheit bleibt
Weil diese Parameter zwischen infizierten Menschen so stark variieren, lasse sich unmöglich vorhersagen, wer überleben und wer sterben wird. Obwohl sich immer mehr zeige, dass die meisten Infizierten nicht schwer erkranken, verstärke die Unsicherheit darüber, wer die größten Risiken trägt, den Horror dieser Pandemie, so Casadevall und Pirofski weiter. In dieser Hinsicht gleiche die heutige Situation früheren Seuchenzügen, deren Ursachen die Menschen nicht kannten. Weil die Entscheidung über Leben und Tod im Dunkeln blieb, schrieben sie die Ausbrüche dem Schicksal oder höheren Mächten zu.

Heute dagegen könne eine breit aufgestellte Wissenschaft das Seuchengeschehen schnell analysieren, die besten Therapien festlegen und Maßnahmen vorschlagen, um Infektionsketten zu unterbrechen. „Die Wissenschaft ist der Rettungsring der Menschheit", konstatieren Casadevall und Pirofski. „Ärzte, Forscher, Epidemiologen und andere arbeiten hart daran, die individuelle Empfindlichkeit für das Coronavirus zu ergründen." Damit lehre uns die Covid-19-Pandemie so viel, dass wir für den nächsten Seuchenausbruch viel besser gerüstet sind.

*Anm. d. Webmasters